Das besondere Abitur: Medizin, Erziehung und Sport – Das Vollabitur und Fachabitur mit Praxisbezug

Von Ronja Hoppe

Im Unterricht sitzen und etwas lernen, was man nicht braucht? Jeder erinnert sich an diese Zeit. Doch was wäre, wenn es eine Schule gäbe, die interessenorientiert unterrichtet? Das ist an verschiedenen Berufskollegs der Fall, so wie am BKVB in Krefeld.

Malteser-Zentrale Nettetal, Mitte September: Dominik Müller wartet auf seine Kollegen – wegen einer Einsatzübung. Sein Rettungswagen, unter Kollegen auch RTW genannt, steht keine 10 Meter von ihm entfernt. Er steht dort mit einem breiten Lächeln, breitgestellten Beinen, Schultern nach hinten zentriert und den Händen in der Hose – ein freundlicher, selbstbewusster Rettungsdienstler eben.

Seine lange Neonhose und seine reflektierende Neonjacke fallen direkt auf. Der Notfallsanitäter war schon immer an der Medizin interessiert. Für ihn war klar, dass es nach der 10. Klasse in Richtung Medizin gehen soll. Und somit fiel ihm das BKVB in Krefeld ins Auge, denn dort hatte er die Möglichkeit ein Fachabitur für Gesundheit und Soziales zu machen.

So wie Dominik Müller geht es vielen jungen Menschen. Sie interessieren sich für einen speziellen Bereich und wollen in diesem einen Schulabschluss machen. Hier bietet ein Berufskolleg die Möglichkeit, in dieser speziellen Fachrichtung ein Abitur oder Fachabitur mit Praxisbezug zu machen. Das bedeutet, dass man nicht unbedingt immer auf einem Gymnasium oder einer Gesamtschule seinen Schulabschluss machen muss. Statistiken des Statistischen Landesamts für Nordrhein-Westfalen zeigen, dass 2019 rund 30% aller Abiturient*innen und Fachabiturient*innen in NRW ihren Abschluss an einem Berufskolleg gemacht haben.

„Der Unterricht am Vera Beckers war gut strukturiert und das Fach Gesundheit war sehr cool. Auch meine Noten waren durch mein fachliches Interesse gut. Ebenso konnte ich fachliche Inhalte für meinen jetzigen Beruf als Notfallsanitäter mitnehmen“, sagt Dominik Müller mit einem Lächeln. Auf die Frage „Vollabi oder Fachabi?“ antwortet er: „Vollabi nein, Fachabi ja. Aus dem einfachen Grund, dass ich für den Notfallsanitäter und den Studiengang Medizinpädagogik kein Vollabi gebraucht habe. Sonst hätte ich es gemacht.“

Das BKVB Krefeld bietet nicht nur ein Abitur mit Schwerpunkt Gesundheit (Bildungsgang DGS) an, sondern auch mit Schwerpunkt Erziehung (DEZ) und Sport (DFL). Hinzu kommen weitere Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten und diverse Abschlüsse.

Neben den Leistungskursen Biologie und Gesundheit ermöglicht das Abitur im Bereich Gesundheit und Soziales (DGS), dass die Schüler und Schülerinnen zusätzlich in medizinischer Physik, Biotechnik, Biochemie, Psychologie und medizinischen Grundlagen unterrichtet werden. Diese Inhalte bereiten laut einem Flyer des BKVB auf die ersten zwei Semester des Medizinstudiums vor. Mathe, Deutsch und Englisch gelten natürlich auch hier als Pflichtfächer. Auch andere Berufskollegs in der Umgebung haben ein berufliches Gymnasium etwa in Bereichen wie Gestaltung, Informatik, Technik, Ernährung oder Wirtschaft und Verwaltung.

Die Ärztin Anja Mühlinghaus ist seit einiger Zeit Lehrerin am BKVB und unterrichtet unter anderem Medizinische Grundlagen. „Die Schülerinnen und Schüler der DGS sind viel interessierter, haben festere Ziele und Vorstellungen, besonders ab der 12. Klasse. Sie sind einfach gesundheitsaffiner als andere Oberstufenschülerinnen und -schüler,“ sagt sie und strahlt mich an. „Ich schätze meinen Beruf. Er ist abwechslungsreich und ich kann meine Leidenschaft zur Medizin in Praxisinhalten an die Schüler weitergeben. Das macht mich glücklich.“ Neben Anja Mühlinghaus gibt es noch eine weitere Ärztin im Kollegium, die Humanmedizin studiert hat. Außerdem gibt es eine Kieferchirurgin und zwei weitere Zahnärzte.

Auch in anderen Fachbereichen gibt es viele Seiteneinsteiger. Das hat den Vorteil, dass diese Lehrer viele fachliche Kompetenzen und viel Praxiserfahrung mitbringen. Das erzählt Anja Mühlinghaus beim Interview.

Jetzt bleibt noch die Frage „Warum die Schule wechseln und auf ein Berufskolleg gehen?“ Bei vielen Schülern und Eltern scheint es wenig Bewusstsein dafür zu geben, dass man auf einem Berufskolleg das Abitur erlangen kann. Das zeigen Studien der NRW-Statistiker und eine Umfrage aus Düsseldorf. Die meisten Eltern dort wollen ihr Kind auf ein Gymnasium schicken.

Berufskollegs sind mit Vorurteilen belastet. Zum Beispiel, dass man das Abitur hinterhergeworfen bekommt, weil es am Berufskolleg so viel leichter wäre. Fakt ist, dass am Berufskolleg der Unterricht viel fachbezogener und somit nicht unbedingt mit einem Gymnasium vergleichbar ist. Das Abitur am Berufskolleg ist allgemein gültig und die Prüfungen werden, ob Berufskolleg oder Gymnasium, zentral vom Schulministerium gestellt.

An einem Berufskolleg lernen Jugendliche aus allen gesellschaftlichen Schichten. Das setzt jedoch die Qualität des Unterrichts und des Abiturs keinesfalls herunter. Ganz im Gegenteil: Die Meinungspluralität ist hier viel größer.

„Ich hatte Klassenkameraden, die nichts Berufliches im Medizinischen oder sozialen Bereich machen wollten. Das zeigt nochmal, dass man mit dem Abitur wirklich in alle Richtungen gehen kann“, sagt Dominik Müller. Das ist auch ein wichtiger Punkt in Bezug auf das Berufskolleg. Das Abitur macht man zwar mit einer Fachrichtung, aber man kann trotzdem alles studieren was man möchte, denn es ist allgemein gültig.

Die Schule zu wechseln bedeutet eine neue Schule, neue Menschen und vielleicht sogar eine neue Stadt kennenzulernen. Genau das kann man als eine Möglichkeit nutzen, die aufs Studium vorbereitet. Dann springt man im Studium nicht ganz ins kalte Wasser und hat schon mehr Erfahrungen gesammelt. „Als Schüler fühlt man sich hier schon wie ein kleiner Student“, sagt Dominik Müller zum Abschluss. Dann muss er los, denn er und sein Kollege werden zu einem Einsatz gerufen. Sie machen sich auf den Weg zum Rettungswagen und fahren davon.

Dominik Müller und Ronja Hoppe (Foto: privat)